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Blogbuster 2017: Ein Spaziergang durch Salzburg und das Ende der Reise

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IMG_2928Die Blogbuster-Shortlist steht fest …
… und meine Favoritin Heike Duken ist mit Rabenkinder leider nicht drauf. Das find ich unheimlich schade (um nicht zu sagen: inakzeptabel!), aber ich bin noch lange nicht gewillt, zu glauben, dass dieser Roman nicht erscheinen wird. Deshalb werde ich mich weiterhin dafür einsetzen und ihn an jene Stellen manövrieren, zu denen ich Zugang habe. Wer weiß: Vielleicht könnt ihr schon bald unabhängig vom Blogbuster die Rabenkinder kennenlernen, und zwar, indem euer Buchhändler sie euch vorstellt. Ich hoffe zumindest darauf!

IMG_2930Ich hab über die Blogbuster-Sache auch jemanden kennengelernt: Heike Duken persönlich. Sie war letzte Woche unterwegs zu einer Fortbildung und hat einen dreistündigen Zwischenstopp in meiner Heimatstadt gemacht. Nach vielen Mails und regem Austausch über ihr Manuskript war es, als würden wir uns nicht zum ersten Mal gegenüberstehen, sondern als hätten wir uns schon oft getroffen. Sie hatte ein wenig Angst, wegen meiner Angewohnheit, einfach über die Straße zu rennen, überfahren zu werden, ist mir aber trotzdem gefolgt. Zuerst durch die Linzergasse und zu jenem Friedhof, auf dem Constanze IMG_2931sowie Leopold Mozart begraben sind, danach auf einen Burger ins Ludwig. Anschließend hab ich sie einmal quer durch die Stadt geschleift, zum Rosenhügel im Mirabellgarten mit Postkarten-Kitsch-Blick auf Salzburg, wo sie geübt hat, wie eine Japanerin zu posen, und ich mich dem Posen verweigert hab, vorbei an Mozarts Wohn- und Geburtshaus inklusive Mozartkugelverzehr (wenn schon, denn schon), durch die Getreidegasse und am Ende zurück zum Ausgangspunkt mit einem Melange-Abstecher über das Café Fingerlos, das die dekadentesten kleinen Törtchen Salzburgs macht. Mehr Touri geht nicht in drei Stunden! Schön war’s, wie wir dabei geplaudert haben über unsere Manuskripte und unsere Kinder.IMG_2932

Der Blogbuster hat mich tatsächlich bereichert. Ich habe viel mehr und viel bessere Manuskripte bekommen als erwartet, ich hatte Spaß am Lesen und Auswählen, die ganze Besserwisserkritik am Preis an sich hab ich, wie auch sonst alles, das mich nicht interessiert, gekonnt ignoriert, und ich bin stolz, Teil dieser ersten Runde gewesen zu sein. Es war ein Experiment, das von uns allen Zeit und Mut gefordert hat. Wir haben gezeigt, was wir zeigen wollten: dass es dort draußen viele interessante Manuskripte gibt, die von den üblichen Auswahlkanälen der Verlage gefiltert werden. Und dass wir Blogger, die man gern als unwissende Laienrezensenten hinstellt, sehr wohl einen guten Riecher haben. Ich wünsche den drei verbliebenen Kandidaten Chrizzi Heinen, Torsten Seifert und Kai Wieland viel Erfolg und freu mich auf Blogbuster Runde zwei!


In English, please: Die 40 coolsten englischen Bücher in meinem Regal

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FullSizeRenderAm Anfang war Arundhati
Als ich fünfzehn Jahre alt war, musste ich für den Schulunterricht zum ersten Mal ein komplettes Buch auf Englisch lesen und darüber ein Referat halten. Und zwar – wie meine Lehrerin immer sagte, wenn im Unterricht jemand Deutsch sprach: „In English, please!“ Meine Wahl fiel auf The God of Small Things von Arundhati Roy, und ich wusste nicht, was ich mit dieser Entscheidung auslöste. Denn das Buch hat mich aufgewühlt wie nichts zuvor. Es wurde eines der wichtigsten Bücher meines Lebens. Man muss bedenken: Bis dahin hatte ich vor allem VIEL gelesen und reichlich wahllos, Hanni und Nanni und Die fünf Freunde, Astrid Lindgren und Michael Ende, später alles von Wolfgang Hohlbein und Steven King, außerdem hatte ich mit dreizehn eine große Vorliebe für Biografien. Aber „echte“ Literatur? Das war mein erstes Mal. Ich habe mir seitenweise Sätze aus diesem Buch aufgeschrieben, ich hab mir sogar von meinem spärlichen Taschengeld die deutsche Ausgabe gekauft, um alles, wirklich alles zu verstehen. Und habe dabei gemerkt, wie Übersetzer arbeiten, wie sie einen Roman in einer anderen Sprache neu zusammensetzen, wie sie manche Dinge perfekt transportieren und andere verlieren. Damals hab ich mir geschworen: Wann ich immer ich kann, werde ich Bücher im englischen Original lesen.

Daran hab ich mich besonders in meinen Zwanzigern gehalten, oft habe ich nur auf Englisch und – weil ich das an der Uni studiert habe – Italienisch gelesen. Ich hatte zudem wenig Geld, und fast immer war das Taschenbuch des englischen Originals, das es zum Erscheinen eines deutschen Hardcovers bereits gab, günstiger. In letzter Zeit mehren sich die deutschen Bücher in meiner Umgebung, was vor allem am Bloggen und den Rezensionsexemplaren liegt, die ich bekomme. Nach wie vor liebe ich jedoch english books und lese sie heute vor allem deshalb, um die Sprache nicht gänzlich zu verlernen und nur noch als Denglisch zu gebrauchen. Also habe ich den Blick durch mein Regal schweifen lassen, um euch die coolsten englischen Bücher, die ich heute noch besitze, vorzustellen. Da ich im Gegensatz zu den meisten Bloggern nicht über eine gigantische Bibliothek verfüge, sondern nur 300 Bücher habe, war das gut möglich. The God of Small Things gehört zu den wenigen Romanen, die ich von damals behalten habe.

Ladies and Gentlemen: Here we go!

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Mit Angela’s Ashes ging es sozusagen weiter: Als ich sechzehn war, verbrachten wir mit der Schule zehn Tage in Cambridge, wo ich mir das berühmte Buch von Frank McCourt gekauft hab. Ich hab aufgrund des irischen Einschlags sehr damit gekämpft, aber es hat mich auch wahnsinnig berührt. Ebenfalls unglaublich gut: The Book Thief von Markus Zusak. Und Micheal Cunningham? Sollte man gelesen haben.
Manche von euch kennen vielleicht den Film mit Brad Pitt als Benjamin Button. Er beruht auf einem Roman mit dem Titel The confessions of Max Tivoli von Andrew Sean Greer. Mit Sicherheit weniger bekannt: The language of flowers von Vanessa Diffenbaugh, das viel besser ist, als das Cover erahnen lässt, und The obscure logic of the heart von Priya Basil. Ausgezeichnet dagegen ist Olive Kitteridge von Elizabeth Strout, ein sagenhaft guter Roman, für den sie den Pulitzer Preis bekommen hat.

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Eine Weile war ich ein Riesenfan von Eliot Pattison und habe JEDEN seiner fantastischen Tibet-Thriller verschlungen. Ebenfalls absolut lesenswert: Ann Packer und Siri Hustvedt. Ein besonderes Vergnügen ist der bitterböse, herrlich sarkastische Roman Where’d you go, Bernadette von Maria Semple. A good read ist auch Water for elephants von Sara Gruen, das 2011 mit Reese Witherspoon, Robert Pattison und Christopher Waltz verfilmt wurde.

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Ein Must Read: Extremely loud and incredibly close von Jonathan Safran Foer, viel besser im Original. Ein wenig freaky ist The Age of Miracles von Karen Thompson Walker, in dessen Mittelpunkt ein Katastrophenszenario steht: Die Erde dreht sich immer langsamer. Ebenso ungewöhnlich ist A Lady Cyclist’s Guide to Kashgar von Suzanne Johnson.

Oh! Ein weiteres Lieblingsbuch: Life of Pi von Yann Martel. Ein RomIMG_2497an, von dem ich sagen kann: Ich war nicht mehr dieselbe, nachdem ich ihn gelesen hatte. Fast schon ein Klassiker: The Upright Piano Player von David Abbott. Sehr poetisch und wunderschön ist White Ghost Girls von Alice Greenway.

Jetzt komme ich ins Schwärmen, ich sag’s euch gleich. Lovely Bones von Alice Sebold, uralt, aber ein Hammer von einem Buch, Mister Pip von Lloyd Jones, so beeindruckend lebensklug, The White Tiger von Aravind Adiga, besser als jede Geschichtsstunde, Cleaver von Tim Parks, scharfzüngig und böse, The Long Song von Andrea Levy, so grausam und traurig, und Five Bells von Gail Jones, träumerisch und melodisch.

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Weiter geht’s mit der illustren Runde: Im Jahr 2010 war Little Bee von Chris Cleave das beste Buch, das ich gelesen habe. Und bei The Kite Runner von Khaleid Hosseini hab ich geweint. Schaurig und intensiv ist The Burial Rites von Hannah Kent, und mitten ins Herz schneidet We are all completely beside ourselves von Karen Thompson Walker.

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JOHN IRVING! Es geht nicht anders, ich muss seinen Namen groß schreiben. Ich hab ihn so geliebt, viele Jahre lang. Als ich etwa siebzehn war, hab ich seine Romane verschlungen und mit ihnen eine neue literarische Welt entdeckt, voller Feinsinn und Witz. A Prayer for Owen Meany gehört für mich zu seinen besten Büchern, aber da gibt es natürlich zahlreiche. The Gathering von Anne Enright ist rasend gut geschrieben, genau wie The History of Love von Nicole Krauss. Aufwühlend und brutal ist The Narrow Road to the Deep North von Richard Flanagan.

Zum Schluss die Klassiker oder das, wasIMG_2501 ihnen am nächsten kommt. Die kennt ihr mit Sicherheit alle: The old man and the seaBrideshead RevisitedDead Poets Society, Forrest Gump, 1984, Brave New World und The Great Gatsby. Es gäbe natürlich noch Tausende mehr (und einige davon hab ich auch gelesen), aber nun ja: There’s no room for all of them. In diesem Sinne: Vielleicht ist ja bei meinem Best of was dabei, das euer Interesse geweckt habt (und vermutlich gibt es davon auch eine deutsche Übersetzung, falls euch die lieber ist). Have fun and keep on reading!

 

Kees van Beijnum: Die Zerbrechlichkeit der Welt

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Beijnum„Sie denken, dass wir dumm sind, Vater. Und wahrscheinlich haben sie recht“

Die Welt, in der sich der niederländische Richter Rem Brink befindet, ist tatsächlich zerbrochen. Wir schreiben das Jahr 1946, und er wird in das vom Krieg zerstörte Japan geschickt, als Teil des internationalen Tribunals, das über die japanischen Kriegsverbrecher urteilen soll. Obwohl er in den Niederlanden eine Frau und drei Kinder hat und weiß, dass er wohl jahrelang nicht nachhause kommen wird, ergreift Brink diese einmalige berufliche Chance. In Japan merkt er schnell, wie unglaublich fremd die Kultur und die Menschen ihm sind. Und dass es sehr schwer ist, allein zu sein: Als er die hübsche Sängerin Michiko kennenlernt, trifft er sich so oft wie möglich mit ihr – weil er ihre Gesellschaft und ihre Nähe genießt. Das Problem ist nur: Er zerstört dadurch ihr Leben.

Im Zuge der Frankfurter Buchmesse mit dem Gastland Niederlande bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden. Kees van Beijnum hat bereits elf erfolgreiche Romane veröffentlicht, von denen einige verfilmt wurden, hat zahlreiche Preise eingeheimst und gehört zu den bekanntesten Autoren seiner Heimat. Mit Die Zerbrechlichkeit der Welt hat er dort 2014 einen literarischen Skandal ausgelöst, in dem es um die Verwendung von Material ging, das dem Autor angeblich für ein Drehbuch anvertraut worden war – und zwar vom Sohn jenes Richters, auf dem die Figur des Rem Brink beruht. Unklar ist, was Fiktion ist und wo Kees van Beijnum sich tatsächlich an den Tagebüchern bedient hat. Der Richterssohn hat ebenfalls 2014 eine Biografie über seinen Vater veröffentlicht.

Der Roman an sich spielt nicht in den Niederlanden, sondern in Japan. Dem Japan nach dem Krieg, ruiniert, am Boden, mit Menschen, die traumatisiert sind, Verluste erlitten haben und gegen das Verhungern kämpfen. Zu ihnen gehören die Sängerin Michiko, der nichts auf dieser Welt geblieben ist, und der Soldat Hideki, die dritte Figur im Roman, der im Krieg verwundet wurde und nun ohne Zukunftsperspektiven in seinem Elternhaus in einem kleinen Dorf in den Bergen sitzt. Dorthin flieht auch Michiko, nachdem Richter Brink sie in jene Situation gebracht hat, in die solche Männer Frauen immer bringen.

Ich mag das Ruhige an diesem Roman, das Bedächtige und Überlegte. Kees van Beijnum erzählt langsam – wirklich sehr langsam. Das ist stellenweise ermüdend, und das Buch zieht sich über einen recht langen Zeitraum. Immer wieder denke ich, nun müsste es zu Ende sein, nun ist die Geschichte auserzählt, und doch ist das nicht der Fall. Inhaltlich verliert sich alles ein wenig, wird immer nichtssagender. Das hat folgenden Grund: Richter Brink hat sich in eine Ecke manövriert, ist festgefahren, kann nicht vor und nicht zurück. Er hat sich selbst schachmatt gesetzt, und das hat Auswirkungen auf die Geschichte: Wir stecken alle fest. Er ist der Moralapostel, der über andere urteilt, und doch ist es mit seiner eigenen Moral nicht weit her. So können wir nur darauf warten, dass Brinks Zeit in Japan zu Ende ist – und erleichtert aufatmen. Die Zerbrechlichkeit der Welt ist ein sehr gut recherchiertes (vermutlich wegen des oben erwähnten Materials), nüchternes und bis in seine Grundfesten doppelmoralisches Buch, das sich mit verschiedenen menschlichen Dilemmata befasst. Es ist intelligent, lesenswert und wahnsinnig deprimierend.

Die Zerbrechlichkeit der Welt von Kees van Beijnum ist erschienen bei C. Bertelsmann (ISBN 978-3-570-10281-7, 480 Seiten, 22,99 Euro).

Trevor Noah: Farbenblind

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17103492_1740145072667768_6612902318170574560_nRassismus, Apartheid und ein wahrhaft verrücktes Leben

„Als es darum ging, einen Namen für mich zu finden, wählte sie Trevor, ein Name, der in Südafrika keine Bedeutung hat und in meiner Familie nicht vorkommt. Es ist nicht einmal ein biblischer Name. Es ist einfach nur ein Name. Meine Mutter wollte nicht, dass ihr Kind irgendeinem Schicksal verpflichtet war. Sie wollte, dass ich mich frei und ungebunden entwickeln konnte, überall, dass ich alles tun konnte, was ich wollte, alles sein konnte.“

Und wenn man die Geschichte von Trevor Noahs Geburt kennt, versteht man, dass das ein hehrer Wunsch war: Er kommt im Ghetto von Johannesburg zur Welt, als ein Kind, das es nicht geben darf, so sehr nicht geben darf, dass es versteckt werden muss, nicht rausgehen darf, nicht gesehen werden darf. Die Apartheid, „der perfekte Rassismus“, sieht eine derart strenge Trennung von weißen und schwarzen Menschen vor, dass Ehen und Kinder ausgeschlossen sind – wer sich nicht daran hält, wird hart bestraft. Doch Trevors Mutter wollte ein Kind, und sie wollte es mit einem Schweizer, obwohl sie wusste, dass sie nie mit ihm würde zusammenleben können, obwohl ihr klar war, dass die politische Situation es ihr sehr schwer machen würde, dieses Kind großzuziehen. Sie ist eine starke, zähe, sehr gläubige und erfindungsreiche Frau, die ihren Sohn in den folgenden Jahren lehrt, der Mann zu sein, der er heute ist: weltoffen, tolerant, gewitzt. Sie tut dies, indem sie ihm ein Vorbild ist, sie tut es mit klugen Worten, aber auch mit Schlägen:

„Alles, was ich je getan habe, habe ich aus Liebe getan. Wenn ich dich nicht bestrafe, wird die Welt dich viel härter bestrafen. Die Welt liebt dich nicht. Wenn die Polizei dich erwischt, liebt sie dich nicht. Wenn ich dich verprügle, versuche ich, dich zu retten. Wenn sie dich verprügeln, versuchen sie, dich umzubringen.“

Und etwas an ihrem Erziehungsstil hat gefruchtet: Trevor Noah ist ein Weltstar, führt durch die amerikanische Daily Show, tritt mit seinen Comedy-Programmen auf allen Kontinenten auf. Niemand hätte ahnen können, dass dieses verbotene Kind, dieser Außenseiter, der in seinem völlig zerrissenen Land zu keiner Seite gehörte, der zeitweise in einer Autowerkstatt schlafen und Maden essen musste, jemals entkommen – und es dabei so weit bringen würde. He has indeed come a long way.

Ich finde Trevor Noah großartig. Er sieht nicht nur saugut aus, er macht Comedy, die sticht – weil sie so hart ist und ehrlich und menschlich. Kein Wunder bei seiner Kindheit, die viel Stoff für Comedy gibt: In The Day Walker und Afraid of the dark spricht er über die Apartheid und Nelson Mandela, über die Macht von Sprache und die Dummheit der Masse. Er ist sehr intelligent, und man merkt ihm an: Er weiß, wovon er spricht – been there, done that. Er kommt von ganz unten, von einem Ort, den ich mir nicht einmal vorstellen kann. Er hat überlebt. Und weil Komik Tragik in Spiegelschrift ist, ist er jetzt so gut. Deshalb war ich begierig auf dieses Buch – ich wollte mehr über diesen faszinierenden Menschen erfahren. Nun ist es so: Ich finde Trevor Noah immer noch großartig. Das Buch aber leider nicht.

Es ist schwer, festzumachen, woran das liegt. Da ich nicht mit dem Original verglichen habe, kann ich nicht sagen, ob das Unrunde, Holprige der Übersetzung geschuldet ist. Humor ist, wir wissen das, sehr spezifisch – vielleicht ging er beim Transport ins Deutsche zum Teil verloren. Da ich seit zehn Jahren als freie Lektorin für Verlage arbeite, wage ich allerdings sehr wohl zu sagen, dass das Buch nicht ordentlich redigiert wurde. Dass die Anschlüsse nicht stimmen, dass immer wieder etwas vorkommt, was man schon weiß, dass viele Infos gedoppelt sind und andere fehlen – das hätte im Lektorat auffallen müssen. Stattdessen wirkt das Buch, das aus vielen Episoden aus Trevors Leben besteht, als hätte es niemand wenigstens einmal von Anfang bis Ende gelesen. Das ist schade, denn inhaltlich ist es wahnsinnig interessant, es hätte ein richtig gutes Buch sein können. Sich durchzuwühlen, ist jedoch nicht gerade einfach: Man muss Geduld mitbringen und über stilistische Fehlleistungen hinwegsehen. Doch das lohnt sich: Man bekommt im Gegenzug eine wahrhaft einzigartige Lebensgeschichte erzählt – umso einzigartiger, weil sie von einem Menschen stammt, den es gar nicht geben dürfte.

Farbenblind von Trevor Noah ist erschienen im Blessing Verlag (ISBN 978-3-89667-590-3, 336 Seiten, 19,99 Euro).

David Monteagudo: Wolfsland

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Monteagudo„Sollten nicht Tiere hinter diesen Gewaltakten stecken, würde ich am ehesten auf die aggressive Natur des Menschen tippen“

„Der Mensch ist zu den schrecklichsten Grausamkeiten fähig, dazu müssen ihm keine Haare, Nägel und Reißzähne wachsen“,

sagt Enrique, Vater des jungen Ich-Erzählers Orlando. Sie leben in einem abgelegenen Dorf in den galicischen Bergen, Orlandos schwangere Mutter ist die Lehrerin. Doch während der Waldhüter nicht an Werwölfe glaubt, tut die restliche Dorfgemeinschaft es sehr wohl: Nach mehreren bestialischen Morden in Vollmondnächten manifestiert sich langsam, aber sicher Panik in den Menschen. Die Opfer sind allesamt Frauen, die misshandelt und blutrünstig zerfetzt wurden. Orlando schwankt zwischen Ängstlichkeit und dem unerschütterlichen Glauben eines Kindes daran, dass der eigene Vater es besser weiß. Doch bald merkt Orlando, dass sein Vater ein Geheimnis hat …

Wolfsland von David Monteagudo ist ein merkwürdiges Buch. Der galicische Autor, der viele Jahre als Mechaniker gearbeitet hat, hat es mittlerweile zu Berühmtheit gebracht, da sein Debütroman in zehn Sprachen übersetzt und verfilmt wurde. Er lässt in seinem zweiten Buch ein Kind erzählen, einen Jungen, der mit der Aufmerksamkeit und Neugier von Kindern beobachtet – dann aber nicht weiß, was er mit diesen Beobachtungen anfangen soll. Darauf beruht die Spannung: Alles ist schon da, nur kann ich als Leser, der durch Orlandos Augen blickt, nicht alles erkennen und es nicht richtig deuten. Erst am Ende, als Orlando erwachsen ist, kommt ans Licht, was damals geschehen ist. Wer für sich selbst die Spannung aufrechterhalten will, darf den Klappentext nicht lesen, denn er verrät alles. Er ist der schlechteste Super-Spoiler-Klappentext aller Zeiten, er enthält und zitiert das Ende des Buchs.

Ich nehme es David Monteagudo übel, dass er sich nicht klar positioniert. Er schreibt hervorragend, atmosphärisch dicht, geheimnisvoll. Aber er beginnt den Roman sehr rational, stellt klar, dass das, was da umgeht, kein Werwolf sein kann. Diese Rationalität fetzt er mir dann um die Ohren, wie einer, der dich halt verarscht hat, doch ebenso schnell kehrt er zu ihr zurück – als sei nichts gewesen. Da denke ich: Entscheide dich, Mann! Da frag ich mich: Ist das nun ein surrealer Roman mit mystischen Elementen – oder doch nicht? Ich bin der Meinung: Er kann nicht beides sein. So oder so ist Wolfsland aber eine literarisch hochwertige Gruselgeschichte.

Lieblingszitat:

„Wenn jemand sich fragt, ob er verliebt ist oder nicht, wenn er sich das immer wieder fragt, vielleicht sogar einen Freund zu Rate zieht, dann ist er wahrscheinlich nicht verliebt, denn die Liebe lässt keinen Raum für Zweifel. So erging es mir mit meiner ersten wahren Lektüre.“

Wolfsland von David Monteagudo ist erschienen im Rowohlt Verlag (ISBN 978-3-499-26950-9, 272 Seiten, 9,99 Euro als Taschenbuch).

Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

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PasztorBegleitschreiben eines Sterbeprozesses
Fred ist einer von denen, die alles richtig machen wollen und dabei das Meiste falsch machen. Er ist alleinerziehender Vater, sein Sohn Phil ist 13, sehr klein und schreibt heimlich Gedichte. Die Mutter hat die beiden verlassen und schickt nur sporadisch Pakete mit esoterischen Heilmitteln, die Phil nicht öffnet, oder universelle Engelenergie übers Telefon. Nun hat Fred eine Ausbildung zum Sterbebegleiter gemacht – und der erste Mensch, dem er ehrenamtlich beistehen soll, ist Karla. Sie hat Krebs im Endstadium und nicht mehr viel Zeit, und sie ist allein. Fred bemüht sich, aber seine ersten Begegnungen mit Karla verlaufen nicht gut. Sie verlaufen sogar derart schlecht, dass Karla ihn nicht mehr sehen will. Nur Phil darf noch zu ihr – um ihre Bilder, ihren Nachlass zu dokumentieren. Doch Fred, der alles richtig machen will, kann das nicht auf sich sitzenlassen.

Ich kenne Susann Pásztor von ihrem sehr guten Debüt Ein fabelhafter Lügner. In ihrem dritten Roman beschäftigt sie sich mit einem Thema, mit dem sie sich auch aus eigener Erfahrung gut auskennt: Sie ist seit Jahren als ehrenamtliche Sterbebegleiterin tätig. Dafür zolle ich ihr größten Respekt, denn ich finde den Mut, den sie dafür aufbringt, die Nächstenliebe, die Aufopferung sehr bewundernswert. Ihr Romanheld Fred ist so einer, der meint es gut. Der ist dick und sympathisch, unbeholfen und fantasielos, nicht sehr gewitzt, aber er gibt sich Mühe. Dass er bei Karla auf Granit beißt, dass es keine rührseligen Hollywood-Momente und keine tränenreichen Versöhnungen gibt, macht diesen Roman interessant. Dass es aber sonst auch nicht viel gibt, macht ihn ein bisschen langweilig.

Ich gestehe es: Zwischendrin hab ich nur quergelesen und die Seiten überflogen. Ich mochte Fred und Phil ganz gern, konnte mit Karla wenig anfangen, aber das macht ja nichts – und hab lange auf etwas gewartet, das bleibenden Eindruck hinterlässt. Vielleicht ist das die Botschaft: dass da nichts ist. Dass ein Leben, wenn es zu Ende geht, einfach verlischt, still, unspektakulär, fast schon unbemerkt. Freilich ist das reichlich deprimierend. Es ist auch menschlich und authentisch – nur für einen Roman, der aus der Masse heraussticht, hätte ich mir dann doch deutlich mehr Bewegung gewünscht. Vor allem auch in Bezug darauf, dass der Sterbeprozess ein Tabuthema mit viel Potenzial ist. Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster ist ein gut geschriebenes, gefühlvolles, nur leider ein wenig fades Buch.

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster von Susann Pásztor ist erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-04870-4, 288 Seiten, 20 Euro). Isabel Bogdan sieht das übrigens nicht wie ich, sie fand das Buch sehr gut.

Das also ist des Pudels Kern: Die 56 klassischsten Bücher aus meinem Regal

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Klass1Es ist nicht so, wie es aussieht. Das möchte ich nur mal sagen. Es sieht nämlich bisweilen so aus, als seien wir Blogger ausschließlich trivial unterwegs. Das Feuilleton stellt uns gern in die Chicklit-Vampire-Ecke, spricht uns jegliche Literaturkompetenz ab. Inwieweit das zutrifft und wo genau die Grenze verläuft zwischen Hobbyrezensenten und Literaturkritikern, vermag ich nicht zu entscheiden und soll auch nicht Inhalt dieses Beitrags sein. Darüber wurde schon viel geschrieben, darüber wird noch viel diskutiert werden, und ich bin es schon lange leid. Wir Menschen müssen einander immer kritisieren, statt friedlich zu koexistieren.

Klass2Ich möchte kein Literaturkritiker sein und würde mir nie anmaßen, so viel zu wissen wie die Experten. Ich halte mich auch nicht für derart belesen. Aber: Ich bin auch nicht, wie wir in Österreich sagen, auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. Ich hab die großen Namen gelesen, die großen Titel, die großen Klassiker. Allein: Im Bücherwurmloch merkt man davon reichlich wenig. Warum? Es gibt diesen Blog zwar seit über acht Jahren, die Klassiker habe ich mir aber lange davor einverleibt, und geschrieben habe ich über sie nie.

Klass3Wie ich bereits erzählt habe, behalte ich kaum Bücher. In meinem Regenbogenregal stehen insgesamt nur 300. Und heute habe ich gezählt: 56 davon sind Klassiker oder das, was man im weitesten Sinne als solche bezeichnen könnte. Diejenigen unter euch, die von langen Buchreihen umgeben sind, bekommen bei dieser mickrigen Zahl bestimmt Schnappatmung. Und mir ist klar, dass nicht alle Titel, die ich dazugezählt habe, dieser Kategorisierung entsprechen, aber das ist ja das Schöne am Bloggen: Ich kann hier tun, was ich will.

Klass4Da sind sie also: Goethe und Schiller, Nestroy und Shakespeare, Jandl und Kundera, Horváth und Hemingway. Vielleicht denkt ihr euch beim Anblick der Bilder: Da fehlen aber viele. Ich konnte aus meiner Kindheit und Jugend leider nur wenige Bücher retten, denn während ich einst zu Ausbildungzwecken in München war, sind sie aus meinem Elternhaus … verschwunden, sagen wir es so. Hier seht ihr die, die ich noch besitze, und somit die klassischsten Bücher in meinem Regal. Eine riesige Bücherwand, wie sie viele meiner Bloggerkollegen haben, mit klingenden Namen und prächtigen Bänden, besitze ich nicht. Das stört mich nicht weiter, vielleicht bekomme ich eine solche noch, wenn die Kinder mal aus dem Haus sind, oder die Klassiker bleiben eben weiterhin da, wo sie jetzt sind: in meinem Kopf. Das ist nicht so wichtig. Die Kunst ist lang, und kurz ist unser Leben!

Klass5Zu den Verbliebenen habe ich eine besondere Beziehung. Als ich etwa fünfzehn war, war ich vernarrt in die Gedichte von Heine und Jandl, so unterschiedlich sie auch sind. The old man and the sea ist eines der ersten Bücher, die ich auf Englisch gelesen habe, und weil ich es noch nicht so gut konnte, habe ich ständig in der deutschen Ausgabe nachgeschaut, was die Wörter bedeuten. Später an der Uni war ich stolz, Lampedusa und Calvino im Original lesen zu können. Imre Kertész und Peter Handke haben mich sehr berührt, Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann, Marlen Haushofer, Javier Marias und Bertold Brecht. Auf sie alle vergesse ich manchmal, wenn die Flut der Neuerscheinungen über mich hinwegrollt, das gebe ich zu. Aber sie sind immer da, behalten ihre Plätze in meinem schmalen Regal, gehören zu den wenigen Büchern, die ich niemals weggeben werde. Und dass diese Sammlung im Endeffekt für manche vielleicht genau das bestätigt, was das Feuilleton behauptet, weil sie so klein ist, ist mir ganz einfach wurscht. Vielleicht, wenn ich alt bin und reich, kaufe ich alle Klassiker nach. Vielleicht auch nicht. Die Dinge bekommen ihren Wert nicht dadurch, dass man sie besitzt.

Mariki motzt mal wieder Part VI

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Brandt MotzMatthias Brandt: Raumpatrouille
Schöner Titel, schönes Thema: Matthias Brandt ist Schauspieler und der Sohn von Willy Brandt. In Deutschland kennt ihn jeder, und auch in Österreich hat sein Name einen bekannten Klang. Sein Buch, in dem er Geschichten aus seiner Kindheit erzählt oder vielleicht eher andeutet, ist für mich das, was man hierzulande als „eh nett“ bezeichnet. Es ist gut geschrieben, interessante Sprenkler sind dabei, aber insgesamt ist es mir zu wenig, viel zu wenig. So ein schmales Büchlein, so wenig auserzählt, so viel offengelassen – das sind Anekdoten, kurze Einblicke, die man in einem Gespräch gibt, jemandem, der einen kennenlernt, oder jemandem, der diese Geschichten schon oft gehört hat. Ich mag das Kind, das Matthias Brandt einmal war, es ist ein sehr sympathisches, gewöhnliches Kind, und mein Herz fliegt ihm zu, das schon. Ernst ist dieses Kind, der Humor fehlt, Matthias Brandt hat das nicht so mit bitterem Witz gemacht wie Joachim Meyerhoff, aber gut, er ist Deutscher, wir nehmen euch ohnehin als sehr ernst wahr. Für viele Leser, die auch in den Siebzigern aufgewachsen sind, sind seine Erinnerungen bestimmt eine nostalgische Zeitreise, ich bin dafür noch ein bisserl zu jung. Womöglich wollte Matthias Brandt dann am Ende doch nicht so viel verraten über sein Leben, über seinen Vater, und hat sich deshalb nur hinter Andeutungen versteckt. Insgesamt hat mich das Buch hungrig zurückgelassen, hat mich nicht gesättigt, und ich frage mich, warum das überhaupt gereicht hat für ein Buch, warum das durchgeht als Buch, wenn es nicht mehr als eine Sammlung kurzer Momentaufnahmen ist.

BuderChristian Buder: Das Gedächtnis der Insel
Thriller! Mein Gott, was hab ich für eine problematische Beziehung zu ihnen. Wenn sie gut gemacht sind, nerven sie mich trotzdem, weil sie kaum jemals glaubwürdig sind, und wenn sie schlecht gemacht sind, kommt in ihnen alles Übel dieser Zunft zusammen. Bei guten Thrillern denke ich: Wow, ja, wie hat der Autor es geschafft, den Überblick zu behalten, alles am Ende zusammenzuführen, sich nicht zu verzetteln, eine realistische Erklärung zu finden? Das beeindruckt mich durchaus. Und dann kommt Christian Buder mit Das Gedächtnis der Insel, und ich denke: Wenn man alles, also wirklich alles falsch macht an einem Thriller, kommt sowas dabei raus. Ich wusste nicht, dass das einer ist, ließ mich am Anfang noch in die Irre führen vom guten Schreibstil und den pointierten, melancholischen Sätzen. Das Setting wäre theoretisch interessant: Ein junger Mann namens Yann kehrt zurück auf die Insel, auf der er aufgewachsen ist, eine winzige Insel ist das, ein Felsbrocken, er hasst sie, aber sein Vater ist tot – und offenbar nicht freiwillig gestorben. Dreißig Jahre zuvor ist seine Mutter im Sturm auf dem Meer verschwunden, wurde nie gefunden, Yann, der noch ein kleiner Junge war, ist daran zerbrochen. Ausgerechnet jetzt ist auch eine junge Frau auf der Insel, Gwenn, die Yann einst geliebt hat, vor der er aber flüchtet, weil er überzeugt ist, dass er in ihrer Nähe mysteriöse Unfälle erleidet, die ihn das Leben kosten werden. Da fängt es schon an mit der Unglaubwürdigkeit, und es wird noch schlimmer. Ein Sturm zieht auf, so heftig wie vor dreißig Jahren, natürlich kommt der jetzt, wann auch sonst!, Yann und Gwenn rennen hin und her über die Insel, versuchen, herauszufinden, was damals geschehen ist, es wird immer windiger, immer gefährlicher, und dann kommt eine Verschwörung ans Licht, die so lachhaft ist, dass ich einfach nur grantig werde. Todesgefahr, Wasser überall, eine klischeehafte Rettung in letzter Sekunde, you know the scheme. Mitten im Buch wechselt der Autor außerdem plötzlich die Perspektive, ganz kurz nur, wechselt für zwei Seiten zum Täter und verrät alles, was passiert ist, zerstört die komplette Spannung, warum tut er das, ich habe keine Ahnung. Ein Horrortrip von einem Buch, aber aus den falschen Gründen.

Rosamunde Lupton: Lautlose Nacht
Und weil wir schon beim Thema sind, machen wir mit dem nächsten Thriller weiter. Ab und zu passiert es, dass ich zu Spannungsliteratur greife, weil ich was brauche, das mir das Hirn auflockert. Das ist so, wie wenn man in der Parfumerie mal kurz die Nase in die Kaffeebohnen steckt, um danach wieder freier gute Düfte beschnuppern zu können. Ich hab dieses Buch ganz günstig bei medimops mitbestellt, und es zu lesen hat mich bei Weitem nicht so aufgeregt wie der Buder-Schwachsinn, aber: Ich hab mal wieder gemerkt, ich bin einfach nicht für Thriller gemacht. Da gurkt eine Mutter mit ihrer tauben Tochter durch die Antarktis, auf der Suche nach dem Ehemann, der als tot gilt, und ich denke dauernd: Was für ein Blödsinn. Das kann doch nicht sein. Die wären längst tot. Aha, jetzt machen sie das, wer soll das glauben? Vielleicht bin ich für diese Art Literatur zu rational, zu skeptisch? Ich weiß es nicht. Und als am Ende alles auffliegt, schüttle ich nur mit dem Kopf. War ja klar, dass es so kommen muss, so viele Möglichkeiten gab es nun mal nicht, waren eh nur die beiden allein in der Arktis unterwegs, und davon wusste kaum jemand. Die großen Bösewichte werden entlarvt, ich rümpfe die Nase vom Kaffeegeruch und widme mich wieder besseren Düften.

IMG_3540Belinda McKeon: Zärtlich
Catherine ist ein sehr gewöhnliches Mädchen, studiert Literaturwissenschaften in Dublin, ist brav und zurückhaltend, hat noch nichts von Bedeutung erlebt. Da lernt sie James kennen, dessen WG-Zimmer sie bewohnt, und ist hin und weg, weil er frecher ist als sie, weltgewandter, witziger. Es ist nicht sehr schwer, Catherine zu beeindrucken. Seit sie James kennt, kreischt sie sehr oft vor Lachen (obwohl seine Witze reichlich lahm sind), und – eh klar – sie verliebt sich in ihn, was sollte sie auch sonst tun. Aber: James ist schwul. Das weiß er, das weiß Catherine, sonst aber wissen das nicht viele, weil er sich nicht traut, sich zu outen. Auf Catherines Gefühlserkenntnis folgen sprunghafte Gedankenfetzen, unzusammenhängende Fieberwahnträume, seiten-, seiten-, seitenweise, bei denen ich denke: Haben Sie es sich einfach gemacht, ja, Frau McKeon, wollten Sie das nicht erzählen müssen, weil es so klischeehaft ist und dämlich und langweilig? Das zu lesen, ist wahnsinnig anstrengend, ich habe es nur überflogen, weil ohnehin nichts passiert. Die irische Autorin, die in Amerika Kreatives Schreiben unterrichtet, hält nichts von Schlichtheit, sie stürzt sich voll ins Pathos. Alles ist wahnsinnig dramatisch an diesem Roman, die Figuren übertreiben bei allem, was sie tun, gnadenlos. Ein superblödes Buch.


Jan Schomburg: Das Licht und die Geräusche

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Schomburg„Wenn man einmal was erzählt hat, dann ist es da“
Es gibt ja vieles, das scheiße ist, wenn man siebzehn ist. Die Erwartungen der Eltern zum Beispiel. Die Zukunft, die wechselweise wie eine Drohung oder eine Verheißung aussieht. Und in den besten Freund verliebt zu sein. Johanna steht auf Boris, aber Boris ist unglücklicherweise mit Ana-Clara aus Portugal zusammen. Johanna und Boris hängen immer zusammen ab, und sie küssen sich fast, aber sie küssen sich eben nicht, und abgesehen davon, dass Johanna darunter leidet, kann sie es auch nicht verstehen. Was findet er an Ana-Clara, die nicht mal hier ist? Und wieso will er sie, Johanna, nicht? Diese Fragen rücken allerdings in den Hintergrund, als Boris verschwindet und einen Brief hinterlässt, der Johanna sowie seine Familie in Panik versetzt. Die viel wichtigere Frage ist jetzt: Wo ist er? Und: Können sie ihn finden?

Jan Schomburg ist Regisseur, Drehbuchschreiber und Autor, dies ist sein erster Roman. Ich wusste nicht, dass es sich dabei um ein Jugendbuch handelt bzw. um ein Exemplar aus jener neuen Gattung, in der uns Jugendbücher als Erwachsenenromane verkauft werden und man sie erst als das erkennen kann, was sie sind, wenn man sie liest. Young Adult nennt sich das und Coming of Age. Ich war überrascht, und nun ja, nicht auf sehr positive Weise, weil ich Jugendbücher nicht sonderlich mag. Ich finde, dass sie sich fast immer anhören wie das Tagebuch eines Pubertierenden, das er später nur mit Unbehagen selbst lesen würde.

„Das Tolle an der Schule ist doch, dass man sich mit Menschen auseinandersetzen muss, mit denen man sonst niemals was zu tun hätte“, sagt meine Mutter manchmal, wenn ich über Babette oder Marcel oder irgendjemand anderen rede, der was besonders Idiotisches gemacht oder gesagt hat. Ich kann nur die Augen verdrehen bei sowas. Das ist so die Art von Aussage, die man echt gar nicht gebrauchen kann. Das ist so, als würde man gar nicht jetzt leben, sondern nur für später, wenn man die Erfahrung vielleicht mal für irgendwas gebrauchen kann.

Das ist mir stets eine Spur zu banal und gleichzeitig eine Spur zu pathetisch. Aber: Dafür, dass ich den weinerlichen Ton von Siebzehnjährigen nicht ausstehen kann, ist Das Licht und die Geräusche überraschend erträglich. Jan Schomburg hat Talent, er hat Einfühlungsvermögen, und er vermittelt diese wirre Emotionswelt, in der Teenager sich befinden, auf authentische Weise. Zwar macht Johanna ständig Dinge, die ich nicht im Geringsten nachvollziehen kann, ihr Leben dreht sich um Mobbing, Klassenkameraden, ihre Verliebtheit und erste sexuelle Erfahrungen, die auf merkwürdige Art aus dem Ruder laufen. Vielleicht bin ich einfach schon zu weit weg von dem, was Siebzehnjährige bewegt. So oder so: Jugendbücher mag ich immer noch nicht. Aber es hätte schlimmer sein können.

Das Licht und die Geräusche von Jan Schomburg ist erschienen im dtv (ISBN 978-3-423-28108-9, 20 Euro). Ähnlich wie ich sieht das übrigens Tobias von Buchrevier.

Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht

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KureishiDie Schönheit von Mut

Ich meine, dass wir beide allein sind. Wir sind schon viel zu lange uns selbst überlassen. Seit Jahren. Ich bin einsam. Ich dachte, du vielleicht auch. Deshalb wollte ich fragen, ob du zu mir kommen und bei mir übernachten würdest. Und mit mir reden.

Das sagt Addie, eine Witwe im Alter von 70 Jahren, zu ihrem Nachbarn Louis, der ebenfalls alleinstehend ist. Eines Tages klingelt sie an seiner Tür, sie kennen sich nur vom Sehen, sind seit Jahrzehnten aneinander vorbeigelaufen, und sie macht ihm diesen ungewöhnlichen Vorschlag, der ihn verblüfft. Aber er geht darauf ein, und während es anfangs merkwürdig ist, weil sie einander fremd sind, sind beide froh über die Gesellschaft. Sie freunden sich an, schlafen in Addies Bett, unterhalten sich, erzählen einander aus ihrem Leben. Alles könnte richtig gut sein, wären da nicht noch die anderen Menschen.

Kent Haruf, der 2014 leider verstorben ist, hat fünf Romane geschrieben, die in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado spielen. So auch dieser, sein letzter Roman. Diese erfundene Stadt ist das perfekte Abziehbild, die ideale Kulisse für kleinkarierte amerikanische Spießbürgerlichkeit. Genau die wird den beiden Protagonisten Addie und Louis zum Verhängnis. Was sie tun, schadet niemandem, ganz im Gegenteil, und es ist außerdem ihre Privatsache. Sie leben auf, verbringen ihre letzte Zeit miteinander, um der Einsamkeit zu entkommen, sie helfen einander, sind füreinander da. Doch Nachbarn und Familie denken, sie müssten sich einmischen, müssten den beiden ihre eigenen, beengten Moralvorstellungen aufdrängen und sie verurteilen. Das ist ebenso glaubwürdig wie traurig.

Unsere Seelen bei Nacht ist ein schmaler Band, eine kleine Geschichte. Alles daran ist fiktiv, und doch habe ich bei jeder Zeile das Gefühl, sie könnte wahr sein. Kent Haruf schreibt sehr schlicht, schnörkellos, klar. Er zeichnet mit wenigen Linien ein Bild, das dennoch deutlich erkennbar wird, und ich mag so etwas sehr. Ich leide mit. Ich schließe Addie und Louis ins Herz, es geht nicht anders, sie sind alt und rührend, ich finde sie mutig, stark, unangepasst und wunderbar. Wie die anderen Menschen mit ihnen umgehen, zeigt einmal mehr, wenn auch nur im Fiktiven, wie unfähig wir sind. Unsere Gesellschaft kann niemanden leben lassen, wie er will. Nicht einmal zwei Alte, die sonst nichts mehr haben auf der Welt. Ein sehr nachdenklich stimmendes Buch mit einer originellen Story. Lesenswert!

Unsere Seelen bei Nacht von Kent Haruf ist erschienen im Diogenes Verlag (ISBN 978-3-257-60785-7, 208 Seiten, 16,99 Euro).

Elisa Albert: Ein Schnitt

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Albert„Und das Herz rollt sich ja auch nicht zum Sterben ein, es will immer noch und will und will“
Es war nur ein Schnitt, doch für Ari war es ein tiefer Einschnitt: Vor einem Jahr wurde ihr Sohn Walker per Notkaiserschnitt aus ihr herausgeholt, und damit kommt sie nicht klar. Sie fühlt sich wie eine Versagerin, sie fühlt sich vergewaltigt. An manchen Tagen ist sie schwer depressiv, mit ihrer feministischen Doktorarbeit geht nichts weiter, obwohl sie Walker zur Tagesmutter bringt, und das Muttersein macht ihr generell zu schaffen:

Wieder ein Tag vorbei, okay, ich kapier’s, ich hab’s kapiert: Ich bin vorbei. Mich gibt es nicht mehr. Daher die uralte Übereinkunft, dass Kinderlose nicht die Voraussetzung mitbringen, sich mit religiöser Mystik zu befassen. Daher die weitverbreitete Überzeugung, Kinderkriegen sei der Expresszug zur Erleuchtung. Es gibt Meditation, Medizin, Peyote in der Wüste bei Sonnenaufgang und die Selbstopferung, und dann gibt es noch das Kinderkriegen, damit kann man auch verschwinden.

Verheiratet ist Ari mit dem gutmütigen, harmlosen, spießigen Paul, der sie, so gut er kann, unterstützt. Sie liebt ihn, obwohl er langweilig ist, fühlt sich aber eingesperrt in der Monogamie:

Die Ehe ist hart. Man muss sich rund um die Uhr bemühen, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Der grausige, jämmerlche, verlogene Sack Scheiße, der man eigentlich ist, muss täglich niedergerungen werden.

Dann zieht im Haus nebenan die bekannte und hochschwangere Rocksängerin Mina ein, und Ari findet eine Verbündete. Doch die Frage in Aris Doktorarbeit wie in ihrem Leben ist: Können Frauen wirklich Freundinnen sein?

Elisa Albert macht’s derb. Sie scheut Tabuthemen nicht, im Gegenteil: Sie stürzt sich hinein. Und dann wühlt sie so richtig darin herum. In ihrem Roman Das Buch Dahlia nahm sie eine Krebserkrankung auseinander und beschäftigte sich eingehend mit dem Schrecken dieser Krankheit. In Ein Schnitt – dessen deutschen Titel ich genial finde – widmet sie sich mehreren Themen zugleich: dem Muttersein, dem Frausein, der Beziehung zwischen Frauen und Männern, der Beziehung zwischen Frauen und Frauen. Für alles, was gesagt wird, findet Protagonistin Ari harte, stark tabuisierte Worte, beispielsweise:

Ich hatte schon immer Mühe, zwischen Leuten zu unterscheiden, die mich hassen, und Leuten, die mich ficken wollen. Weil es da nämlich, wie mir irgendwann dämmerte, oft erhebliche Überschneidungen gibt.

Wer, wie ich, kein Problem mit einer so derben Sprache hat, wird nicht gleich verschreckt sein, aber: Auf Dauer ist das sehr anstrengend zu lesen. Ari ist eine Bitch. Sie lästert über jeden, am liebsten über andere Frauen, und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Für ihre Doktorarbeit beschäftigt Ari sich mit der Tatsache, dass Frauen einander die größten Feindinnen sind, sich gegenseitig manipulieren und es nicht schaffen, sich gegen die Männer zu behaupten, weil sie nicht zusammenhalten. Der Witz ist: Ari ist für ihre eigene Theorie der beste Beweis. Und das macht sie als Person schwer erträglich, genau wie das gesamte Buch. Es ist lustig, ja, schonungslos, ehrlich, entlarvend, aber es ist auch eine einzige, alles umfassende Hasstirade.

Ein Schnitt von Elisa Albert ist erschienen bei dtv (ISBN 978-3-423-26090-9, 216 Seiten, 15,90 Euro).

Mariki motzt mal wieder Part VII

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IMG_3532Stefan Slupetzky: Der letzte große Trost
Daniel erhält einen Brief, in dem es um das Haus geht, das er als Kind mit seinen Eltern und seinem Bruder bewohnt hat. Deswegen fährt er dorthin, taucht ein in die Vergangenheit, findet natürlich was im Keller – dieses altbekannte Setting zielt immer darauf ab, dass das inzwischen erwachsene Kind sich erinnert plus was findet – und stellt darum alles in Frage, was er über den Vater zu wissen glaubt. Er spinnt sich seine eigene Version der Geschichte zusammen, die so absurd wie unglaubwürdig ist. Dann will er das, was er sich da zurechtgedacht hat, auch noch nachmachen, was umso bescheuerter ist. Was ich zudem an diesem Buch nicht mag: dass alles erklärt wird. Also wirklich alles. Wer wann wo geboren ist, was seine Eltern gemacht haben, mit wem er geschlafen hat, blabla schnarch. Es ist viel zu viel tell und viel zu wenig show. Dabei kann Stefan Slupetzky sehr gut schreiben, das wusste ich nach Der Fall des Lemming von 2005, ein origineller Krimi war das, aber was dieser Roman hier sein soll, ich versteh es nicht. Der Versuch, auch mal so eine Geschichte zu schreiben, wie sie jeder schreibt, über den Erwachsenen, der den Nachlass der Eltern durchschauen muss? Ich schwöre mir jedenfalls hiermit selbst, dass ich endlich wirklich, wie schon oft beschlossen, aufhören werde, Bücher mit diesem Handlungsverlauf überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Sie sind alle grottig, alle!

Freeman MotzCastle Freeman: Auf die sanfte Tour
Ein sehr ähnliches Problem hatte ich mit diesem Buch: Es erklärt und erklärt und erklärt. Die eigentliche Geschichte geht dabei völlig unter, ich konnte ihr auch nach 80 Seiten nicht auf die Spur kommen und habe – was ich ja nur selten tue – entnervt abgebrochen. Was so ein Deputy macht, wie der Vater seiner Freundin zu ihm steht, wer wann was gesagt hat, all das erfahre ich, aber die Handlung selbst bleibt auf der Strecke. Ich habe absolut nichts gegen sehr männliche, schnörkellose, schlichte Bücher, ich finde Daniel Woodrell gut und Pete Dexter, aber das hier, das ist für mich einfach nur unglaublich öde. So langweilig, dass ich nicht mal mehr wissen wollte, was denn nun eigentlich mit dem an den Baum gebundenen nackten Russen passiert ist. Und das will ja wohl was heißen! Ein Buch, so fad wie ein leiser Furz.

Mark Watson: Hotel Alpha
Das ist kein Buch, über das ich lästern könnte, aber Lobenswertes fällt mir auch nicht viel ein. Es ist wohl das, was man seichte Unterhaltung nennt, es ist nett und harmlos, dabei halt sehr unbedeutend. Mark Watson hat zusätzlich dazu hundert Kurzgeschichten geschrieben, die den „Kosmos des Romans“ erweitern, an denen ich aber null Interesse hatte und über die ich deshalb nichts sagen kann. Hauptfiguren gibt es zwei: Graham, der jahrzehntelang an der Rezeption des Hotel Alpha arbeitet und dem vermeintlichen Zauber des Hauses völlig verfallen ist, und Chaz, der als Kind bei einem Brand im Hotel erblindet und fortan dort aufwächst. Beide bekommen von der Außenwelt wenig mit, eine heile Welt ist die ihre aber auch nicht so ganz. Das alles klingt, als hätte Wes Anderson einen Film darüber machen können, nur wäre der mit Sicherheit viel besser.

MotzAdrian Barnes: Nod
Was wäre, wenn die Menschen plötzlich nicht mehr schlafen könnten? Was würde mit ihren Körpern geschehen nach drei Tagen, nach zehn, nach dreißig? Wie würden sie sich verhalten und wann würden sie sterben? Das sind die Fragen, denen sich dieses freakige englische Buch stellt, das mich genau aus diesem Grund interessiert hat. Die Antworten, die es liefert, sind allerdings reichlich enttäuschend, denn der Autor hat das Naheliegendste gemacht, was möglich war: Die Menschen werden nicht unbedingt zu Zombies, aber zu etwas Ähnlichem, sie verfallen dem religiösen Wahn, gründen eine Art Kult. Die Zivilisation zerfällt innerhalb kürzester Zeit, Strom und Internet werden abgedreht, alle plündern, alle morden. Das war zu erwarten, und das finde ich schade – ich hätte mir mehr Originalität erhofft.

 

 

Doris Knecht: Alles über Beziehungen

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KnechtAch, die Frauen! Immer wollen sie was.
Und vor allem wollen sie was von ihm, Viktor. Es ist halt schon anstrengend, wenn man so ein Frauenmagnet ist wie er, erfolgreich, charmant, ein Hengst im Bett, einer von denen, die viele Eisen im Feuer haben. Sein Handy steht nie still, und er muss aufpassen, dass die vielen Nachrichten, Mails und Anrufe nicht von der einen gesehen werden, mit der er vorgeblich monogam lebt: Magda, die Mutter seiner Kinder. Wenn die wüsste, was Viktor wirklich treibt, dann wär die Kacke am Dampfen. Er ist ein Fixpunkt im Wiener Kulturkreis, er leitet ein Theaterfestival, scheucht Schauspieler herum, trinkt ein Glaserl mit wichtigen Leuten, zieht ein Naserl mit wichtigen Leuten, man kennt das ja. Schon sehr lang hat Viktor was mit Josi, mit ihr ist es unkompliziert, sie hat selbst zwei Kinder und vögelt ihn, wann es grad in ihren Zeitplan passt. Mit Helen hat Viktor auch was, die ist eigentlich eine Freundin der Familie, verheiratet mit dem alkoholkranken Paul, eine wunderschöne Frau, viel zu schön für Viktor, aber sie gibt sich eben zufrieden. Dann sind da aber noch Frauen, mit denen ist es für Viktor viel komplizierter. Mit denen hätte er, vernünftig betrachtet, wirklich nichts anfangen dürfen. Weil die ihm vielleicht irgendwann doch zum Verhängnis werden.

Doris Knecht ist eine bekannte österreichische Autorin und Kolumnistin. Ich hab bisher alle ihre Bücher gelesen – was bei meinem Nur-ein-Buch-pro-Autor-Spleen etwas Besonderes ist – und erst letztens den großartigen Film Gruber geht mit Manuel Rubey, für den ich heimlich schwärme, angeschaut. Doris Knecht schreibt genial böse, sarkastisch, entlarvend, österreichisch, witzig. Ich liebe ihre Bücher, und doch muss ich sagen: Alles über Beziehungen – von dem ich aufgrund des Titels erst dachte, es handle sich um ein Sachbuch – ist nicht ihr bester Roman. Wald ist weitaus grandioser, genauso Besser. Für ihren neuesten Clou hat sie einen Protagonisten erdacht, der als Figur so kurios ist, dass es für ein ganzes Buch reicht: Einer, der bescheißt, einer, der sich selber geil findet, in Wahrheit an tiefen Selbstzweifeln leidet, einer, der ein so großes Ego hat, dass nichts, aber wirklich gar nichts, daneben Platz hat. Viktor gehört zu jenen Männern, die permanent Bestätigung durch Frauen brauchen – und sie sich auch holen, obwohl sie eine feste Partnerin haben. Wir alle kennen diese Männer, und Doris Knecht hat ihre Eigenheiten, ihre Denkweise, ihr verrücktes Verhalten und ihre noch verrückteren Selbstrechtfertigungen bestens eingefangen. Trotzdem hätte ich mir für das Buch eine Handlung gewünscht. Denn wenn man ganz genau hinsieht, stellt man fest: Es hat keine.

Der gesamte Roman zieht sich über einen einzigen Tag und folgt Viktor bei allem, was er tut. Das ist nicht viel, denn in erster Linie sind wir in Viktors Gedankenwelt unterwegs. In der Welt, die er sich aufgebaut hat, um das ständige Lügen und Betrügen mit seinem Gewissen zu vereinbaren. Zweimal wechseln wir zu Frauen, erfahren kurz, wie sich das Ganze aus ihrer Perspektive darstellt, wie sie Viktor sehen – von Josi und Helen. Das ist natürlich erheiternd, zeigt, wie Viktor von seinen Betthäschen wahrgenommen wird, war mir aber zu kurz. Warum nur für ein paar Seiten in die Sicht der Frauen springen, warum das nicht vertiefen? Und wieso sind es nur zwei seiner vielen Weiber, was ist mit all den anderen? Das hat sich für mich unausgegoren und halbherzig angefühlt. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Ton, der mir an sich gut gefällt, ich mag das Bissige, das Zynische, aber: Irgendwann war es mir zu viel. Es ist, als würde man an einem Tisch sitzen in geselliger Runde, und einer muss permanent lästern. Er zieht über die anderen her, er kotzt sich aus, er erhöht sich selbst, kann nichts ohne gehässige Ironie sagen. Es kommt der Moment, da erträgt man diesen Jemand nicht mehr. Im Fall von Alles über Beziehungen ist natürlich die Autorin die, die sich über ihre eigene Figur lustig macht. Zu Recht! Aber das zu lesen, ermüdet auch. Und es ist zu einseitig. Im Vergleich zu Gruber geht, dessen Protagonist auch einer ist, über den man sich lustig machen könnte, der dann aber so viel an Tiefe gewinnt, bleibt der neue Roman sehr flach. Wer daher noch nichts von Doris Knecht kennt, sollte unbedingt zu einem ihrer anderen Bücher greifen. Oder auf das nächste warten, vielleicht wird es wieder besser. Ich werde es auf jeden Fall trotzdem lesen.

Alles über Beziehungen von Doris Knecht ist erschienen im Rowohlt Verlag (ISBN  978-3871341687, 288 Seiten, 22,95 Euro).

Zsuzsa Bánk: Schlafen werden wir später

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FullSizeRender„Ich dachte, ich sei im Schreiben besser als im Leben“

„Eines Tages verwandeln sich alle in Dämonen, und uns fällt nicht mehr ein, wie wir etwas anderes in ihnen hatten sehen können“,

das schreibt die Schriftstellerin Márta ihrer Freundin Johanna, die Lehrerin ist im Schwarzwald, und sie meint mit diesem Satz eigentlich Menschen, ihren eigenen Mann, aber für mich passt er auch auf dieses Buch. Obwohl ich ein großer Fan von Zsuzsa Bánk bin und ihre Bücher Der Schwimmer sowie Die hellen Tage liebe, hätte ich mir ihren neuesten Roman nicht gekauft, schlicht deshalb, weil er so viele Seiten hat – ich hab ihn geschickt bekommen, und dachte dann: Ja, doch, ich lese ihn, die Seiten schaffe ich, irgendwie schaff ich die, und ich freu mich drauf. Doch dann wurde dieses Buch zu einem Dämon für mich, und mir fällt nicht mehr ein, wie ich etwas anderes in ihm hatte sehen können.

Die Sprache ist nicht das Problem, die Sätze sind lang und schwurbelig, es ist schwierig, da reinzufinden, aber es nicht unmöglich, und irgendwann packt der Rhythmus zu, zieht an, umwickelt, hämmert und pocht, durchwirkt mit den vielen Zitaten von Annette von Droste-Hülshoff, über die Johanna eine Doktorarbeit schreibt. Eins der Probleme ist die Handlung oder besser ihr Fehlen, das Buch zieht sich über fast siebenhundert Seiten und drei Jahre, dicht abgedeckt von E-Mails und Alltagsberichten, aber es bewegt sich nichts. Die beiden Frauen, die einander schreiben und eng befreundet sind, verändern sich nicht, entwickeln sich nicht, ihre Leben bleiben im Grunde gleich, die Kinder werden größer, natürlich, ansonsten – nichts. Es gibt keine Geschichte, vielmehr ist das alles ein Widerkäuen, ein Sich-Wiederholen, ein Auf-der-Stelle-Treten, und ich kann es nicht ertragen, mir schläft beim Lesen das Gehirn ein. Mehrfach überblättere ich die Seiten dutzendweise, und es macht nichts, ich komme trotzdem mit, mir fehlt keine wichtige Info, weil es die kaum gibt.

Ein anderes Problem, das mir dieser Roman bereitet, ist der Inhalt der Mails, der Inhalt dieser zwei Lebensentwürfe. Sie sollen zueinander konträr sein, auf der einen Seite die dreifache Mutter, auf der anderen Seite die Kinderlose, sie schreiben sich freundliche Mails, doch scheint diese Freundlichkeit manchmal einen gewissen Hass aufeinander kaum zu übertünchen, sie halten den Kontakt stets aufrecht, schreiben sich, rufen einander an, helfen sich aber nicht wirklich, sind nur mit Worten füreinander da, nicht mit Taten.

„Dein dralles, überdralles Leben scheint grell auf mein lächerlich sortiertes. Mein übersichtlich festgezurrtes. In dem ich nur um mich selbst kreisen muss. Um keine Kinder. Keinen Mann. Das ist ja auch nicht so schön, wie Du Dir ständig ausmalst. Durch vorgegebene Bahnen immerzu um mich selbst. Summ-summ. In meinem Johanna-Orbit. Kometen und Monde nur für mich.“

Und Johanna hat völlig Recht: Das ist unfassbar langweilig. Wenigstens kann sie mich dadurch nicht so wahnsinnig ärgern wie ihre Freundin Márta. Márta, die nur schreiben will. Die aber unglücklicherweise Kinder hat. Und die deshalb jetzt jeden einzelnen Tag ihres Lebens ganz fürchterlich jammern muss.

Es wurde schon viel geschrieben über Schlafen werden wir später, und ich hab mir sagen lassen, dass nicht alle Besprechungen positiv sind. Ich gehöre zu jenen, die von diesem Roman schrecklich genervt sind. Dabei hatte ich gedacht, ich würde mich identifizieren können mit Márta. Weil ich auch zwei Kinder habe, weil ich auch arbeite, weil ich versucht habe, neben dem Muttersein einen Roman zu schreiben, weil ich weiß, wie schwierig es ist, alles davon. Stattdessen haben Mártas Denkweise und Verhalten mich befremdet.

„Die Kinder saugen mein Leben weg, Johanna, wer ungestört arbeiten will, darf keine Kinder haben, wer etwas anderes erzählt, lügt, aber das weiß ich erst jetzt, niemand hat mir das früher gesagt, alle haben geschwiegen.“

So klingen Mártas Mails, und zwar alle ihre Mails, und ich frage mich: Wie kann das sein? Sie ist als Figur, als Mutter, völlig unglaubwürdig. Beim ersten Kind, ja, vielleicht, da lass ich mir das einreden, dass man vorher nicht weiß, wie anstrengend das wird, aber beim zweiten – niemals, nie, das wusste sie, und keiner, also wirklich keiner, kriegt ein drittes Kind, ohne genau zu wissen, worauf er sich einlässt. Das dritte Kind ist für Profis. Woher kamen diese Kinder denn? Márta hat sie offenbar nicht gewollt, sie klingt, als hätte jemand sie vor ihrer Tür abgestellt und sie gezwungen, sich um die Gschrappen zu kümmern, friss oder stirb, schreiben wirst du nicht mehr. Wieso hat Márta Kinder bekommen, nicht nur eins, sondern drei, wieso hat sie sich nicht vorher – spätestens, als sie zum dritten Mal schwanger war – überlegt, wie das gehen soll mit der Betreuung, mit der Vereinbarkeit, mit dem Schreiben? Wieso kann sie nicht denken: Gut, das ist jetzt so, aber nur für wenige Jahre, dann sind die Kinder größer, ich sollte diese Zeit genießen, die Zeit zum Schreiben kommt von selbst zu mir zurück? Und zu guter Letzt: Was ist das für ein Frauenbild, das Zsuzsa Bánk da vermittelt? Völlige Abhängigkeit, Unfähigkeit, selbst zu entscheiden und zu handeln, eine moderne Gefangenschaft ist das. Und gleichzeitig sind es First World Problems, nichts anderes, Mártas Kinder sind gesund, sie hat ein Haus, einen Mann, Aufträge, Geld, und dennoch wird sie nicht müde, sich zu beklagen. Genau wie ich mich endlos über dieses Buch beklagen könnte, diesen Dämon.

Schlafen werden wir später von Zsuzsa Bánk ist erschienen bei den S. Fischer Verlagen (ISBN 978-3-10-005224-7, 690 Seiten, 24,99 Euro).

Graham Swift: Ein Festtag

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Swift„Es ging darum, dem, was das Leben ausmachte, treu zu sein, zu versuchen, genau das einzufangen, was Lebendigsein bedeutete“
Sie ist jung, sie ist hübsch, und sie ist eine Bedienstete: Jane hat ein Verhältnis mit Paul. Er ist reich, sie ist es nicht, er muss bald des Standes wegen heiraten, sie wird allein zurückbleiben. Schon seit Jahren hegen die beiden eine heimliche Zuneigung zueinander, treffen sich zu Stelldicheins, wann immer es möglich ist. An diesem einen Tag, das wissen beide, ohne dass es ausgesprochen wurde, wird es das letzte Mal sein, dass sie miteinander im Bett liegen. Und Jane genießt dieses letzte Mal, denn sie darf, weil die Herrschaften nicht da sind, das Haus durch die Vordertür betreten, ihren Geliebten in seinem Gemach besuchen, mit ihm schlafen, mit ihm reden, ungezwungen und frei von all der gewohnten Heimlichtuerei. Sie beobachtet ihn, versucht, sich die Details zu merken, die sie bald schon vermissen wird, seinen Bauchnabel, die Art, wie er raucht, wie er spricht. Sie ist eifersüchtig auf seine Verlobte, natürlich, aber es ist keine rasende, sondern eine resignierte Eifersucht, denn Jane weiß, dass für sie keine Möglichkeit besteht, so weit oberhalb ihres Standes zu heiraten. Später, sehr viel später, wird sie auf diesen einen Tag zurückschauen, wird sich erinnern, wie es war, als ihr Leben sich völlig verändert hat – allerdings auf andere Weise als gedacht.

Graham Swift ist eine bekannte Größe der britischen Literatur. Er hat bereits den Man Booker Prize abgestaubt, wird in siebzehn Sprachen übersetzt und liefert internationale Bestseller. Dieser Roman, Mothering Sunday im Original, ist wunderbar unaufgeregt und feinsinnig. Graham Swift erzählt darin so klug, zurückhaltend und doch emotional, dass wieder einmal bewiesen ist: Gute Schriftsteller brauchen nicht viele Worte. Sie brauchen nur die richtigen. Mit viel Einfühlungsvermögen hat er sich hineinversetzt in seine junge Jane, die vor dem ersten großen Verlust ihres Lebens steht, sie ist traurig, ja, aber auch voller Lebensmut und Lebensfreude, sie lässt ihren Geliebten nicht gern gehen, dennoch ist ihr Herz, so scheint es, leicht. Sie weiß: Es muss sein. Sie weiß: Es ist jetzt Zeit. Nur wenige Stunden beschreibt der Roman, einen einzigen Tag, und doch entfaltet sich sehr viel darin: das Standesdenken einer vergangenen Zeit, eine heimliche Liebschaft, die Zuversicht der Jugend, noch viele Jahre zur Verfügung zu haben. Graham Swift stellt diese junge Jane außerdem der gealterten, lebenserfahreneren Frau gegenüber, zu der sie später wird, und das verleiht den Ereignissen, von denen er berichtet, zusätzliche Tiefe. Der schmale Band mit gerade mal 140 luftig gesetzen Seiten ist schnell gelesen, doch das macht nichts, die Geschichte ist stimmig, rund, in sich geschlossen. Kein aufregendes Leseereignis, aber ein sehr empfehlenswertes, das gerade durch seine stille Schönheit und schlichte Eleganz beeindruckt.

„Und was muss man noch haben, wenn man Schriftstellerin werden will?“
„Na, man muss verstehen, dass Wörter nichts als Wörter sind. Einfach Luft …“

Ein Festtag von Graham Swift ist erschienen im dtv Verlag (ISBN 978-3-423-28110-2, 142 Seiten, 18 Euro).


Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

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Bronsky„Wir sind den Menschen unheimlich. Sie scheinen zu glauben, dass die Todeszone sich an die Grenzen hält, die Menschen auf Landkarten einzeichnen“

„Es gibt Tage, da treten sich in unserer Hauptstraße die Toten auf die Füße. Sie reden durcheinander und merken nicht, welchen Unsinn sie erzählen. Das Stimmengewirr hängt über ihren Köpfen. Dann wiederum gibt es Tage, da sind sie alle weg. Wohin es sie dann verschlägt, weiß ich nicht. Vielleicht erfahre ich es, wenn ich eine von ihnen bin.“

Und eine von ihnen könnte Baba Dunja bald sein: Sie ist alt, und sie lebt in Tschernowo. Das ist ein Gebiet um Tschernobyl, so verstrahlt, dass niemand es betreten will, sogar der Bus hält an einer Stelle zwei Stunden Fußmarsch von Tschernowo entfernt. Baba Dunja ist heimgekehrt. Sie weiß genau – zumal sie ihr Leben lang Krankenschwester war –, was für eine Gefahr das Gemüse darstellt, das sie in ihrem kleinen Garten erntet, wie tödlich jeder Schluck Wasser sein kann, doch es kümmert sie nicht. Sie will zuhause sein, sie will hier ihre letzten Jahre verbringen, sie will hier sterben. Und sie ist nicht allein: Die Gavrilovs sind da, der alte Petrov, die dicke Marja. Ein paar andere Alte haben sich wieder niedergelassen in Tschernowo, sie alle sind eine kleine Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig die meiste Zeit in Ruhe lässt, aber zusammenhält, wenn es drauf ankommt. Dass die Öffentlichkeit sie für verrückt hält, ist Baba Dunja und ihren Nachbarn egal:

„Meine Arbeit hat mich gelehrt, dass Menschen immer und ausschließlich das tun, was sie wollen. Sie fragen nach Ratschlägen, aber eigentlich brauchen sie fremde Meinungen nicht. Aus jedem Satz filtern sie nur das heraus, was ihnen gefällt. Den Rest ignorieren sie.“

Baba Dunjas Kinder sind weit fort, ihr Sohn lebt am anderen Ende der Welt, ihre Tochter in Deutschland. Manchmal bekommt Baba Dunja ein Paket mit praktischen Dingen, manchmal einen Brief. Doch dann erhält sie zum ersten Mal einen Brief von Laura, ihrer Enkelin, und das macht Baba Dunja Sorgen: Was steht drin? Warum hat Laura ihr geschrieben? Sie hat keine Möglichkeit, die Worte zu entschlüsseln, versteht sie doch weder Deutsch noch Englisch. Klar ist nur: Etwas ist passiert. Und obwohl Baba Dunja nur ihre Ruhe möchte, weitab der Zivilisation, im giftigen Herzen des nuklearen Katastrophengebiets, wird ihr genau diese Ruhe nicht gewährt …

Alina Bronsky ist ziemlich großartig, das wusste ich schon nach Scherbenpark vor vielen Jahren – mit Baba Dunjas große Liebe ist es mir wieder eingefallen. Es ist gut möglich, dass ich nun auch die Bücher lesen werde, die sie dazwischen geschrieben hat, und ihr wisst, ein größeres Kompliment kann ich kaum aussprechen. Alina Bronsky hat die seltene Gabe, gewitzt, schlau und ohne großes Drama über Themen zu schreiben, die eigentlich großes Drama bedeuten. Ihre Idee, eine Geschichte rund um eine alte Tschernobyl-Heimkehrerin zu erfinden, ist schlichtweg genial. Sie hat eine Protagonistin erschaffen, die lebensklug ist und erfinderisch, einfallsreich und entspannt, eine gute Beobachterin, jemand, der schon viel gesehen und erlebt hat, den nichts mehr erschüttern kann. Das würde man denken, denn dann – und das macht den kurzen Roman durchaus spannend – geschehen sehr wohl Dinge, die Baba Dunja erschüttern. Sie ist eine von den Heldinnen, die gar keine Heldinnen sein wollen, und denen gerade deshalb das Herz des Lesers zufliegt. Sie ist kein weicher, manipulierbarer Mensch, im Gegenteil, mit ihr sollte man es sich nicht verscherzen. Das alles macht sie einerseits sympathisch und interessant, zugleich auch sehr authentisch: Baba Dunja ist die Oma, die dich liebevoll mit Kuchen füttert, dir aber auch spöttisch in den Speck zwickt.

Dieses Buch ist eine Geschichte über Außenseiterdasein und das Glück derer, die sich nicht mehr den Zwängen der Gesellschaft unterwerfen müssen.

„Was ich an Tschernowo niemals gegen fließend Wasser und eine Telefonleitung eintauschen würde, ist die Sache mit der Zeit. Bei uns gibt es keine Zeit. Es gibt keine Fristen und keine Termine. Im Grunde sind unsere täglichen Abläufe eine Art Spiel. Wir stellen nach, was Menschen normalerweise tun. Von uns erwartet niemand etwas.“

Es ist auch ein Buch über das Altern und Loslassen, über Mut, Zusammenhalt und die Bindungen innerhalb einer Familie. Über Tote, die nicht gehen wollen, die Dummheit der Menschen und über Lügen, die Folgen haben. Wer es noch nicht kennt: Unbedingt lesen!

Baba Dunjas letzte Liebe von Alina Bronsky ist als Taschenbuch erschienen bei Kiepenheuer & Witsch (ISBN 978-3-462-05028-8, 160 Seiten, 8 Euro).

Frédéric Zwicker: Hier können Sie im Kreis gehen

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Zwicker„Manchmal würde ich auch gern die Erinnerung verlieren“

„Die meisten sehen es falsch. Sie glauben, die Alten würden abgehängt. Sie glauben, die Alten verlören den Anschluss, weil der Zahn der Zeit ihre Geister und Körper daran hindert, mit dem rasenden Fortschritt mitzuhalten. Das stimmt aber nicht. Der Fortschritt gestaltet nur die Kulisse. Und in diesem ewigen Trauerspiel liegen die Alten immer voran.“

Kehr ist alt, und viel, das ist ihm klar, wird nach dem Tod seiner Frau nicht mehr kommen. Er gibt vor, senil zu sein, an Demenz zu leiden, damit seine Familie ihn ins Pflegeheim bringt. Dort, so stellt er es sich vor, wird er ein ruhiges Leben haben in seinen letzten Jahren. In Wahrheit ist es jedoch anstrengend, den Demenzkranken zu spielen, herumzuschreien, in die Hose zu machen und vor allem kein Wort mit seiner geliebten Enkelin Sophie zu sprechen. Es bricht ihm das Herz, dass er so tun muss, als würde er sie nicht kennen. Sie ist die Einzige, die ihn besucht, die Einzige, die er liebt. Kehr rechnet ab mit dem Leben, mit seinen Fehlern und Verlusten, er beobachtet die anderen Pflegebedürftigen, manchmal spielt er ihnen Streiche. Und er büxt gern aus, aber nur, um sich vorn an der Ecke beim Türken was zu kaufen. Dann kommt seine Jugendliebe Annemarie in dasselbe Pflegeheim, und Kehr merkt, dass er sich mit seinen Lügen und Täuschungen in die Ecke manövriert hat, dass er sich nur noch im Kreis dreht.

Frédéric Zwicker hat als Zivildiener in einem Pflegeheim gearbeitet, und das merkt man seiner Erzählung an: Hier schreibt einer, der genau weiß, was Sache ist. Er berichtet über die Arbeit der Pfleger, über das Verhalten der zu Pflegenden – man möchte sie fast Insassen nennen, haben sie doch keinen Weg in die Freiheit mehr – und über den Alltag in einem solchen Heim. Was zuerst nach einer guten Idee klingt, einen alten Mann dort hinzubringen, der nur vorgibt, dement zu sein, der im Heim beobachten und entlarven, Schabernack treiben und den Leser unterhalten kann, stellt sich im Laufe des Romans als Spiegeltrick heraus. Es scheint, als habe der Protagonist eigentlich nur sich selbst getäuscht. So ganz, das muss ich gestehen, begreife ich nicht, warum er das tut. Weshalb lässt er sich einliefern, sich seiner Freiheit berauben, obwohl es nicht nötig wäre? Wieso verletzt er seine Enkelin derart tief, gibt vor, sie nicht zu erkennen, obwohl er sie so sehr liebt? Und warum gibt er seine Tarnung nicht einmal dann auf, als seine große Liebe Annemarie vor ihm steht? Ich hab mich gefragt, ob er vielleicht nur denkt, er sei nicht dement, und es in Wirklichkeit aber ist, nur: Das kommt mir dann doch zu kompliziert vor. Oder bedürfte zumindest einiger Erklärungen, die es nicht gibt.

Das ist die Schwachstelle an diesem Buch, das Unerklärliche, Fragwürdige, ansonsten ist es gut geschrieben, sehr authentisch, in Eigenerfahrung recherchiert und originell. Wer ihn liest, wird – vermutlich nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal denken –, dass er als alter Mensch hoffentlich nicht in einem Heim landen wird. Das Erste, was einem an der Tür abgenommen wird, scheint die Würde zu sein. Ein lesenswerter, aber wahrlich kein herausragender Roman.

Hier können Sie im Kreis gehen von Frédéric Zwicker ist erschienen bei Nagel & Kimche (ISBN 978-3-312-00999-2, 160 Seiten, 20 Euro).

6 Gründe, warum ich mich freue, heuer Buchpreisbloggerin sein zu dürfen

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    Endlich bin ich dabei! Natürlich hab ich jedes Jahr auf die Buchpreisblogger geschielt, ihre Beiträge gelesen und die Diskussionen verfolgt. Umso grandioser finde ich es, dass ich 2017 mit von der Partie sein darf. Und hoffe freilich, dass auch irgendjemand dann zu mir rüberschielt.
  2. Ich werde die Buchpreis-Bücher lesen! Alle Jahre wieder werden Longlist und Shortlist mit Spannung erwartet, die nominierten Titel wirbeln die Literaturbranche und den Buchhandel auf, und ich bin wahnsinnig gespannt, welche Romane das 2017 sein werden.
  3. Bisher hab ich den Buchpreis eher aus der Ferne betrachtet, als große Aktion, die im Spätsommer über die Literaturbühne geht, mich aber wenig betrifft. Dieses Mal werde ich mittendrin und live dabei sein. Das große Lesen beginnt am 15. August, verliehen wird der Preis am 9. Oktober.
  4. Diskussionen, die Sinn machen und gleichzeitig auch noch friedvoll ablaufen, sind ja im Internet nicht unbedingt häufig zu finden. Ich stelle mir vor, dass wir Buchpreisblogger das in diesem Fall hinbekommen. Ich bin neugierig auf die Meinung der anderen und freu mich auf die Möglichkeit, mich mit Gleichgesinnten über Bücher auszutauschen, denn in meinem Umfeld gibt es kaum Lesende, und somit hab ich zu sowas selten die Gelegenheit.
  5. Die, mit denen ich diskutieren werde, sind auch ein Grund zur Freude: meine werten Kollegen! Fünf sind es an der Zahl, und ich schätze sie alle sehr: Sandro Abbate novelero, Isabella Caldart novellieren, Sarah Reul Pinkfisch, Frank Rudkoffsky Frank O. Rudkoffsky, Ilke Sayan (Booktuberin) BuchGeschichten.
  6. Letztes Jahr hat mit Bodo Kirchhoff ein Autor der FVA den Buchpreis gewonnen, wo auch mein Roman im Frühjahr 2018 erscheinen wird. Das tut eigentlich nichts zur Sache, verstärkt meine Freude aber trotzdem noch zusätzlich.

Der Hashtag zum Buchpreisspaß lautet #dbp17, das ist der neue Blog des Deutschen Buchpreises, und hier findet ihr alles auf Facebook. Das Logo ist von Jochen Kienbaum.

Tina Pruschmann: Lostage

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IMG_3822„Lasst uns auf unsere Freunde trinken und mögen wir alle mehr Freunde haben als Blätter an einem Apfelbaum“

Fünfzig Jahre ist es her, dass die kleine Rike gestorben ist. Dass sie aus dem Kirschbaum gefallen und Blut aus ihrem Ohr geflossen ist. Martina kann das nicht vergessen, und ihre Mutter Elena kann es auch nicht. Jetzt wird Elena 88 Jahre alt, ein rauschendes Fest gibt man ihretwegen, die Polka wird getanzt, der Honigschnaps wird getrunken, aber für Elena ist der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit schon fließend. Für Elena gäbe es noch viel zu sagen, nur hat sie nicht mehr viel Zeit. Aber jetzt, wenn man ehrlich ist, würde sie es wahrscheinlich auch nicht mehr aussprechen, fünfzig Jahre später. Wo doch jeder nur geschwiegen hat über alles, was wichtig war. Tochter Martina über das, was wirklich geschehen ist und was sie über Rike gedacht hat. Enkelsohn Daniel über seine komplizierten Gefühle seiner Freundin Sasha gegenüber. Sasha über das, was sie erlebt hat auf ihren wilden, gefährlichen Reisen in Kriegsgebiete und Ecken der Welt, die gut und gern das Ende sein könnten. Und Anja über das, was sie tatsächlich sucht, wenn sie ihrer kleinen Tochter Schlaftropfen in die Milch gibt, um sie nachts allein zu lassen.

Es ist nicht einfach, den Inhalt von Tina Pruschmanns Debüt wiederzugeben. Das liegt daran, dass es kaum möglich ist, das Buch nachzuerzählen, zu kurz sind die Erzählstränge, zu verwickelt das Gesamtbild. Die Kapitel sind episodenhaft, nicht chronologisch aneinandergereiht, sie hängen zwar zusammen, ja, sie haben teilweise dasselbe Figureninventar, und doch wirken sie mehr wie Interlinking Short Stories denn wie ein Roman. Die Autorin, die Soziale Verhaltenswissenschaft und Soziologie studiert hat, lässt die Handvoll Charaktere, die sie entworfen hat, Banales und Schreckliches erleben, lässt sie sich verlieben, sich trennen, lässt sie lachen, leiden und sterben. Es geht um ihre Schicksalsmomente, um jene Augenblicke, die etwas verändern, sofort oder erst, vielleicht unbemerkt, später. Kurze Einblicke bekommt der Leser in diesem langen Reigen von Mosaiksteinchen aus einer ungefähren Zeitspanne zwischen 2002 und 2015, mit Ausnahmen, die weiter zurückreichen, die Kapitel sind datiert, aber um wen es geht, das muss man herausfinden, indem man liest, sich wundert, grübelt, irgendwann draufkommt. Das ist gut, es ist herausfordernd, anstrengend ist es auch.

Im Klappentext steht „Mit großer Leichtigkeit erzählt Tina Pruschmann von diesen besonderen Momenten, den Lostagen im Leben“ – nein. Leicht ist an diesem Buch gar nichts. Mit bleierner Schwere, müsste es eher heißen, denn Lostage ist unfassbar deprimierend. Obwohl ich das Melancholische liebe, hat dieses Buch mich derart niedergedrückt, dass ich oft tagelang nicht weiterlesen konnte. In seiner Art, eine Familie darzustellen und zu beleuchten, durch das Gesplitterte, Vereinzelte, hat es mich sehr stark an Rabenkinder von Heike Duken erinnert, meinen Favorit für den Blogbuster-Preis. Die Romane ähneln sich sehr, zum Teil im Inhalt, aber mehr noch in der Aufmachung, dem Stil, der Idee, eine Familie nicht über ihren Zusammenhalt zu charakterisieren, sondern über die Erkenntnis, dass jeder für sich bleibt, dass jeder einsam ist, dass die Blutsverwandtschaft nichts weiter ist als ein locker geknüpftes Band, das der Zufall gewebt hat. Tina Pruschmann kann ohne Zweifel herausragend gut schreiben. Sie tanzt mit den Wörtern, sie gibt ihnen Befehle, denen die Wörter widerstandslos folgen. In seiner Gesamtheit ist Lostage komprimierte, elendige, bodenlose Traurigkeit. Es ist ein Buch, das man, um es lesen zu können, in erster Linie aushalten muss.

Lostage von Tina Pruschmann ist erschienen im Residenz Verlag (ISBN 9783701716807, 224 Seiten, 22 Euro).

Niah Finnik: Fuchsteufelsstill

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IMG_3381„Es war unmöglich, eine Auszeit von sich selbst zu nehmen“

„Die Klinik war ein Schutzraum, in dem jeder nach und nach begann, sein zugeschüttetes Wesen freizuscharren. Ein gebrochenes Bein oder eine Platzwunde war leichter zu verstehen. Acht Wochen Gips, Pflaster drauf, alles war sichtbar. Die Ursache, die Symptome, auch die Heilung. Psychische Störungen dagegen waren unsichtbar.“

In einen solchen Schutzraum, eine Klinik, begibt sich die junge Juli. Sie hat lange auf den Therapieplatz gewartet und ist fest entschlossen, ihn zu nutzen. Jeden Morgen steht sie pünktlich auf, macht sich auf den Weg zur Klinik, nimmt an den Gruppensitzungen und Aktivitäten teil. Sie trifft dort den attraktiven Philipp, der schizophren sein soll, und die quirlige Sophie, bei der eine bipolare Störung diagnostiziert wurde. Sie alle haben ihr Päckchen zu tragen, jeder für sich, doch dann schweißt ein gemeinsames Erlebnis die drei zusammen, und es wird klar: Das Wochenende, das vor ihnen liegt, das müssen sie einfach zusammen verbringen. Juli, die eine bestimmte Form von Autismus hat, passt das nicht, sie will nachhause, in die Sicherheit ihrer vier Wände, und doch kann sie sich der seltsamen Dynamik, die zwischen ihr, Philipp und Sophie entsteht, nicht entziehen. Nicht einmal, als es gefährlich wird.

Wie verrückt ist verrückt genug? Das ist die zentrale Fragen von Niah Finniks erstem Roman Fuchsteufelsstill. Wer ist noch normal, wer ist es nicht mehr? Und wo genau verläuft die Grenze? Klar wird eigentlich nur, dass das völlig unklar ist. Ist das, was wir Therapie nennen, wirklich hilfreich? Medikamente, die den gesamten Geist auf Standby setzen, Stuhlkreise, Töpfern? Die Autorin, die im neuen Imprint Ullstein fünf debütiert hat, ist noch keine 30 Jahre alt und hat das Asperger-Syndrom. Anders gesagt: Schreib über das, was du kennst – und mit Autismus kennt Niah sich demzufolge aus. Ich war deshalb sehr gespannt auf ihr Buch. Wie würde jemand von Autismus erzählen, der nicht von außen draufsieht? Was für Einblicke würde sie mir geben können, welche neuen Erkenntnisse?

Wenn die Frage lautet, wie verrückt ist verrückt genug, muss ich gestehen, und es ist mir fast ein bisschen peinlich, dass mir Fuchsteufelsstill (wunderbarer Titel übrigens und sehr schönes, von der Autorin selbst designtes Cover) nicht verrückt genug war. Protagonistin Juli hat gewisse Spleens, eine Vorliebe für die Farbe Blau, für Zahlen und für Quantentheorie, sie steckt nicht gern in Menschenmassen, zählt mit, wie weit sie sich von ihrer Wohnung entfernt befindet, und hat Angst vor Nähe. Ist man damit schon nicht mehr normal, ist man damit schon krank? Ich kann das nicht beurteilen, nur denke ich während der Lektüre ständig: Das hab ich so alles schon gelesen. Solche Figuren sind mir bereits oft begegnet. Die leicht Beschädigten. Die, mit denen was nicht ganz stimmt. Die einsam sind und schrullig, die Stimmen hören oder keinen Grund mehr sehen, zu leben. Die überdrehte Sophie entspricht dem Stereotyp einer manischen Patientin, und dann taucht auch ein eiskalter Businesstyp auf, der sich, von Langeweile geplagt, gestörter verhält als unsere drei Klinikhasen zusammen. Klischee, ja, natürlich, und genau das hat mich sehr überrascht, weil ich erwartet hatte, dass eine Autorin, die eigene Erfahrungen einbringt, mit diesen Klischees aufräumen würde. Aber Niah Finnik kann auf jeden Fall sehr gut schreiben. Das ist es auch, was diesen Roman lesenswert macht – das und die Art, auf die er einen nachdenklich stimmt. Am Ende zeigt sich: Wir suchen doch alle eigentlich nur nach der Liebe. Und das ist wahrlich sehr verrückt.

Fuchsteufelsstill von Niah Finnik ist erschienen bei Ullstein (ISBN 9783961010035, 304 Seiten, 14,99 Euro).

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